Experten empfehlen eine Lehre vor dem Studium
Deutschland hat zu wenige Akademiker. Behaupten Unternehmen und Politiker. Und werben vor allem für naturwissenschaftlich-technische Studiengänge. Doch nicht jeder Schulabgänger wird in einem Studium glücklich. Für sie gibt es bessere Alternativen.
MINT ist kein Pfefferminzbonbon. Das Kürzel steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Und damit für Berufe mit großem Zukunftspotenzial. Denn in einem Hightech-Land ohne Bodenschätze sind helle Köpfe der wichtigste Rohstoff. Wenn es nach den Unternehmen ginge, sollten viel mehr Jugendliche Ingenieur oder Informatiker werden. Die Angst vor dem Fachkräftemangel macht die Runde.
Jungen Menschen, die gerade die Schule abgeschlossen haben und vor der wohl wichtigsten Entscheidung ihres Berufslebens stehen, ist der Fachkräftemangel erstmal egal. Sie wollen in dem riesigen Angebot eine Ausbildung finden, die zu den eigenen Interessen und Fähigkeiten passt.
Es stimmt: Die Aussichten für MINT-Akademiker sind exzellent. Leider gehen die Vorstellungen der Jugendlichen häufig an der Berufsrealität vorbei. Viele Schulabsolventen versteifen sich auf die Frage: Lehre oder Studium? Dabei ist erstmal wichtig, Interessen abzuklopfen, etwa ob man technisch begabt ist. Dass diese Frage zu kurz kommt, beweisen die Zahlen der Studienabbrecher: Sie betragen in MINT-Fächern mehr als ein Drittel.
Hier einige Tipps für eine erfolgreiche Berufswahl:
Nicht gleich aufs Studium festlegen
Früher machten zwei Drittel der Schulabsolventen eine Lehre, ein Drittel studierte. Heute kehrt sich der Trend um. Viele lassen sich locken von angeblich guten Berufschancen oder die Eltern machen Druck. Nicht wenige dieser Studienanfänger brechen ihr Studium ab und bewerben sich bei uns um eine Lehre. Das Interesse freut uns zwar, trotzdem wäre es anders herum besser gewesen: Erstmal eine Lehre machen und bei Interesse später noch ein Studium dranhängen.
Noten sind wichtig, aber nicht alles!
Jugendliche, die sich bei der Schott AG um eine Lehrstelle bewerben, müssen einen Eignungstest absolvieren. Dabei stellen wir immer wieder fest, dass die Ergebnisse im Eignungstest nicht unbedingt die Schulnoten widerspiegeln. Für den beruflichen Erfolg sind neben den fachlichen Kompetenzen vor allem Persönlichkeit, Engagement und der Umgang mit Menschen gefragt. Gute Noten sind deshalb keine Erfolgsgarantie für Ausbildung und Studium. An fachlichen Defiziten kann man arbeiten, bei menschlichen Defiziten wird es schwieriger.
Andererseits sollte man die Noten nicht völlig ignorieren. Wer in Mathe schlecht ist und Physik in der Oberstufe abgewählt hat, sollte sich gut überlegen, ob ein MINT-Studium das Richtige ist. Viele stürzen sich in ein Studium, obwohl man schon am Abiturzeugnis sieht, dass es nicht reichen wird.
Praktika machen
Ratschläge von Verwandten und Bekannten sind wichtig, auch Ratgeber im Internet können hilfreich sein. Aber nichts geht über eigene Erfahrungen. Ob einem eine Tätigkeit liegt oder ob man sich schon nach ein paar Tagen langweilt, erfährt man am besten, indem man diese Tätigkeit eine Zeitlang ausprobiert. Praktika während der Schulzeit oder nach dem Abitur sind deshalb nicht nur für angehende Azubis interessant. Auch wer ein Studium anpeilt, erhält im Praktikum wertvolle Informationen über das Berufsfeld. Deshalb ist es auch nicht schlimm, wenn man in einem Prak
tikum gar nicht zurecht kommt oder die Tätigkeit ganz anders ist als man erwartet hat. Auch das ist eine wertvolle Information, die einen möglicherweise vor einem Fehler bei der Berufswahl bewahrt.
Sie schreiben Ihre PC-Programme selbst und ein Ikea-Regal bauen Sie ohne Anleitung auf? Dann dürfte ein technischer Beruf eine gute Wahl sein. Umgekehrt gilt: Wenn Tüfteln und Basteln noch nie Ihr Ding war, sollten Sie sich ein Ingenieurstudium gut überlegen, auch wenn die Karrierechancen noch so verlockend sind.
Nicht nur auf die Karrierechancen schielen
Viele Studienanfänger wollen später einmal Führungsaufgaben übernehmen. Sie studieren Betriebswirtschaftslehre, weil sie denken, dass dieser Studiengang sie direkt ins Management katapultiert. Doch BWL-Studierende gibt es wie Sand am Meer, was wiederum die Karrierechancen schmälert. Technische Berufe sind eine gute Alternative. Sie bereiten keineswegs nur auf eine Fachlaufbahn vor, sondern bieten viele Optionen, später auch Führungsverantwortung zu übernehmen.
Das gilt übrigens auch für Berufseinsteiger, die erstmal eine gewerbliche Ausbildung machen und vielleicht später ein duales Studium dranhängen. Das deutsche Berufsbildungssystem ist sehr durchlässig. Eine Mechatroniker-Lehre kann bei späterem Engagement auch auf einen Vorstandssessel führen.
Ein Wort an die Eltern
Die Eltern spielen eine wichtige Rolle bei der Berufswahl ihrer Kinder – manchmal eine zu große. Oft erlebe ich es auf Berufsmessen oder Informationsveranstaltungen, dass die Eltern die Fragen stellen und die Jugendlichen, um die es eigentlich geht, nur daneben stehen und nichts sagen. Bitte versuchen Sie nicht, ihrem Nachwuchs ihre eigenen Vorstellungen überzustülpen! Besser ist es, den Kindern beratend zur Seite zu stehen und ihnen zu helfen, ihre Interessen zu entdecken.
Über den Experten
Volker Leinweber ist Physiker und seit 26 Jahren bei der Schott AG in verschiedenen Positionen tätig. Seit 2003 ist er dort Leiter der technischen und naturwissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung.